Zwischen Gemüse und Rebberg

(fz) Der Tag hatte den nächtlichen Mantel über dem Tösstal schon abgezogen. Eine löchrige Hochnebeldecke liess die Hoffnung auf den ersten Sonnenstrahl offen. Das Leben im Dorf schien in der samstäglichen Morgenstunde noch etwas verschlafen, als ein Mann mit Reisetasche die Tür zum Rest. Frohsinn öffnete und kräftige Männerstimmen und lachende Laute nach draussen hallten und sich mit der Unschuld des Morgens kreuzten.

Am Start der Vereinsreise
Sänger Hans Truninger hatte die Route für heuer beizeiten geplant und den Tag des Startschusses, geschrieben der 1. Oktober 2016, über die „Kollbrünnler Nachrichten“ im Rahmen der Anteilnahme bekannt gemacht. Die Bestellung für die frischen Croissants hatte Sänger Heinz Grossmann aufgegeben, und er übernahm auch gleich die Kosten mit der Tasse Kaffee dazu. Nicht aber für Wein, das sagte dieser ebenso beizeiten. Ein „Nüssli-Car“ mit Reini am Steuer rollte von Agasul her auf Kollbrunn zu. Dieser brachte das Fahrzeug beim Bahnhof zum Stillstand. Was wär‘ das Leben ohne Lied, was wär‘ es ohne Wein – die Sänger sangen es und wer es sonst noch gehört hat, der weiss Bescheid. Dann brauste Reini los, Richtung Kanton Bern, mit allen Gepäcksstücken an Bord.

Erstes Ziel erreicht: Kerzers
Was sollte man Historisches über Kerzers wissen? Wand- und Glasmalereien aus dem 16.-18. Jh. sind in der ref. Kirche zu betrachten. Unser Reiseleiter Hans hatte beim Pläneschieden wohl mehr die Gegenwart im Kopf schweben lassen, nämlich Gurken, Tomaten und Radieschen. Da waren wir damit an der richtigen Adresse, denn die Familie Gutknecht leistete auf diesem Gebiet Pionierarbeit. Denn die Bauern im Berner Seeland, im Grossen Moos, hatten lange Zeit Kühe und Schweine in den Ställen, Weizen und Zuckerrüben auf den Feldern. Bis einer in Kerzers vor über zwanzig Jahren dann merkte, die Nachfrage nach Gemüse könnte stetig zunehmen und sein erstes Treibhaus für den Anbau von Tomaten aufstellen liess. Der Bauer von früher ist zum Unternehmer geworden, das stellte sich alsbald heraus. Die Kostbtr_2017_fr_0011en für ein modernes Treibhaus belaufen sich gegenwärtig auf rund zwei Millionen Franken. Da muss einer beim Verkaufe seiner Produkte, ob es nun Gurken, Tomaten oder Radieschen sind, den Erlös fair und gerade aushandeln können. Und nicht einfach dem von der EU subventionierten Gemüse mit eigenen Mitteln gegenüber stehen sollen. Abgesehen vom Selbstversorgungsgrad, der in anderen, schwierigeren Zeiten, vom „billig orientierten“ Konsumenten in einem teureren Grade gern erheischt werden würde. Herr Mäder, ein früherer Gemeinderat der Gemeinde, hat die Zusammenhänge sehr gut und in verständlicher Weise dargelegt. Wünschenswert wäre es, wenn sich der arglose Konsument beim Kaufe seiner Gurken und Tomaten in seinem Laden, diese herrlich leuchtenden Früchte aus dem Berner Seeland, in seinen Warenkorb legen könnte.
Der lange Tisch im Freien war von Frau Gutknecht reichlich gedeckt worden. Die Sänger trugen, dirigiert von Eva Rüegg, das Tösstaler Hochsigzyt-Lied vor, bevor der Aperitif eine erste Rolle spielte. Ein paar Regentropfen setzten ein, hielten sich aber binnen kurzem gleich wieder zurück. Da löste sich einem Sänger auf einmal die Sohle vom Schuh. Wie ging es weiter? Uebrigens, Kerzers wird dem Kanton Fribourg zugeordnet. Die Sänger des Männerchors Kollbrunn verstanden „Bärndüütsch“ gut.

In Twann BE der Rebberg
Vom Reiseleiter Hans gut überlegt. Kaum in Twann angekommen, ging‘s in den Trüel-Keller von Martin Mürset. Man rufe ihn gewöhnlich „Dinu“, sagte Martin, bevor er uns seinen Pinot Noir und Chasselas probieren liess. Bei den Gesamtnoten gibt es durchaus Unterschiede, ob im einzelnen Gaumen oder im Vorgeschmack festgestellt. Die Wanderung in den Rebberg stand auf dem Programm. Dinu von Twann wollte ihn gern zeigen. Twann war schon im Mittelalter als Rebbauerndorf bekannt. Auf dem Weg der Hauptstrasse stiessen die Sänger auf die Ref. Kirche St. Martin. Eva, unsere Dirigentin, schlug vor,btr_2017_fr_0022 darin ein Lied zu singen. Bei welchem Resonanzraum sollte Tschara lingua da la mamma noch besser klingen können? Wieder setzten ein paar Regentropfen ein. Der Winzer ziehe die Ernte der Trauben gern und oft bis auf die heikleren Tage hinaus, um das sogenannte Oechslegrad noch um einen Promillesatz steigern zu können, meinte Dinu des Risikos bewusst. Auf den Treppen hinab ins Dorf hob ein Sänger eine Weinbergschnecke über das Gemäuer, um ihn vor einem schwereren Tritt zu bewahren.
Das Hotel Bären liegt ja gleich dem Weinkeller gegenüber. Zimmerbezug, ruft Hans. Wer sich die Zimmernummer nicht am frühen Abend beizeiten merkt, steht in der frühen Morgenstund‘ wie der Esel am Berg. Doch hält einer den Schlüssel mit der Nummer 9 verkehrt, könnte dieser daraus auch eine 6 ablesen. Auch die helfende Angestellte war sich bei ihrer Hilfe nicht ganz sicher. Zum Abendessen ging’s zurück in Dinus‘ Weinkeller. Seine Frau aus der Ukraine hatte bereits allerlei Zutaten in hübschen Schalen aufgetischt. Zur Hauptsache Beilagen aus der Gegend am gegenüber-liegenden Ufer des Bielersees, dem Berner Seeland eben. Die kleinen Fleischwürfel bouillier sieden und selber auf den Spiess stecken, gefiel den meisten ganz gut. Nur einer hatte von Raclette geträumt, von einem Käsegericht aus einem andern Kanton. Das letzte kühle Bier in der Hotelbar des Bären erfrischte vor dem Schlaf zu früher Stunde doch zahlreiche Kehlen. Den Bierhahn hinter dem Tresen bediente da schon eine Zeitlang mit Geschick ein Sänger.

Zweiter Tag: Mit dem Schiff nach Murten
Um zehn Uhr legte das Kursschiff, von Biel her kommend, in Twann an. Die Sänger trugen vom Bären her ein gutes Frühstück im Bauch. Ein paar Sänger fiscbtr_2017_fr_0047hten das Frühstücks-Ei zu voreilig aus dem heissen Wasser, und platsch, landete es dann ziemlich weich auf den Tellern. Die Sonne lachte an diesem Morgen trotzdem. Plötzlich unterbrachen die Klang-farben eines Alphorns die sonntägliche Morgenstille. Sänger Beat überbrachte auf diese Weise den Gruss aus dem Tösstal vor die Gestade des Bielersees. Und er mit seiner „Swiss Lady“ haben einen drauf, das lässt sich neidlos anfügen. – Eine Schifffahrt wirkt beruhigend auf jede aufgewühlte Seele. Nach dem Zihlkanal, auf dem Neuenburger-See, schlugen die Wasser dann beträchtlich höhere Wogen – der Kapitän zog das Schiff um 180 Grad herum. Die Schnabeltiere vom Vogelparadies hätten die Kresse auch gerne gemocht, doch an diesem Tag waren die Sänger beim Verschlingen der Salatpflanze sicher schneller. Salami und Käse, die Sänger liessen gewiss nicht viel übrig.

Von Murten nach Aarberg
Zahlreich wurden die Erinnerungen wieder wach, an die Landesausstellung im Jahre 2002 in Murten. Was von damals, in den erinnernden Köpfen noch geblieben ist? Die hohen Kosten für das Management, aber sonst? Doch, der „rostige Würfel“ im Murtensee, der wie auf Pfählen damals im See stand. Bei Nancy ist Karl der Kühne 1477 gefallen. – Auch Fahrer Reini kann in Murten den Car nicht überall hinstellen. Die leichte Anhöhe zum Parkplatz war auch mit einer Schuhsohle noch zu schaffen.

Restaurant Zur Brücke, Aarbergbtr_2017_fr_0052
Die alte Holzbrücke überspannt die alte Aare seit 1568. Das Städtchen wurde um 1220 von Graf Ulrich III. gegründet, eigentlich in rechteckiger Grundform geplant. Das Haus, wo sich das Rest. Zur Brücke befindet, wurde ganz schön renoviert. Im oberen Stock ein Speisesaal, darin ein langer Tisch, mit besonderer Sorgfalt gedeckt. Der Willkommensgruss auf dem Menü-Anzeiger, da müsste sich ein mancher geirrt haben, wenn nicht das Herzblut des Sängers Hans dahinter gesteckt hätte. – Das Essen ebenda war vorzüglich. Und die vom Männerchor Kollbrunn vorgetragenen Lieder tönen auch in altehrwürdigen Räumen, oder dank denen, sehr gut. – Stets gab es in Aarberg einen Gassenmarkt. Ein Sänger des Männerchors postete im Jahre 1962 seine ersten beiden Singles dort, für je Fr. 1.50 das Stück. „Zwei kleine Italiener“ und „Heisser Sand“, so hiessen die Titel der Lieder damals. Das Geld dafür erhielt er von seiner Grossmutter im Berner Seeland. Dafür machte er im Aarberger Warenhaus „Stadt Paris“ die Kommissionen für sie.

Wohlauf zurück, in Kollbrunn
Der Zuruf an Hans darf laut gelten: Gut gemacht, gut geplant, darf sie als sehr schöne Vereinsreise ins Protokoll aufgenommen werden. Und der Ausklang bei einem kühlen Bier, im Rest. Frohsinn, hat seine lange Tradition halt. Für die belegten Brote haben die Sänger ihren Dank in der Kirche abgelegt. Und wer darnach fragte, wann waren die Kollbrünnler Sänger am 2. Oktober wieder zu Hause? Um 20.00 Uhr jenes Sonntags war es der Aktuar, stets einer der letzten, bestimmt.

Text: Fritz Zesiger
Fotos: Martin Burkart

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