Der Männerchor Kollbrunn machte sich auf die Reise
(fz) Wohin? Nach Guggisberg BE, doch das war nur eines der Zielorte. Also am besten der Reihe nach. Ulrich Reichert hatte den Ausflug über zwei Tage minutiös vorbereitet. Sänger Heinz G., der seine Reiselust untergraben musste, spendierte am Samstagmorgen, wir schrieben den 6. Oktober, Kaffee und Gipfeli. Dann trafen sie ein, die Chorsänger, einer nach dem andern, die geschätzte Dirigentin Eva Rüegg ebenso, im Restaurant Frohsinn, die meisten ihre Sachen in einem Rucksack verpackt habend, und wie es aussah, stand die Mehrzahl mit den Füssen in einer Form von Wanderschuhen. Als ob gerade eine Wanderroute bevorstünde. Das Lied vor dem Start, „Hochsigzyt“, wurde unserem rekonvaleszenten Sänger Rolf direkt ins Kantonsspital Winterthur übertragen.
Mit zwei Paketen für die Wegzehrung, die selbst in früheren Zeiten jeden Pilger bis aufs‘ Gebein erquickt hätten, spendiert worden von der Familie Zehnder und von den Familien Jucker, und es im Frohsinn gerade gemütlich werden wollte, bestand Reiseleiter Ulrich doch darauf, dass sich die Sänger auf zum Nüssli-Car begeben sollten.
Das schöne Wetter hatte sich an diesem Tag irgendwie durchgesetzt, und mit Reini am Steuer kommt man nicht zuweilen ans nächste Ziel. Aarburg AG. Das mittelalterliche Schloss und die jüngere Festung über dem Ort standen für jeden Fotographen in schönster Beleuchtung. Das Restaurant Zur Alten Post ebenda besticht durch sein Ambiente, wie Sänger Werni St. stellvertretend bemerkte.
Kurz nach der Weiterfahrt gab unser Präsident Andreas eine wichtige Mitteilung durch: Für den vakant gewordenen Posten des Kassenwarts würde sich Heinz Sommer zur Verfügung stellen.
Beim Viadukt Schwarzwasserbrücke trafen wir mit Nüssli-Car beizeiten ein. Ulrich hatte vorzüglich ausgewählt: Das Steak mit allerlei gesunden Beilagen hat tatsächlich keiner verwehrt. In der Wirtschaft Schwarzwasserbrücke, an der Route Bern – Schwarzenburg, verstehen die Köche ihr Handwerk nicht minder als an andern Orten. Der Männerchor Kollbrunn gab spontan ein Ständchen. Die Klassenzusammenkunft zeigte sich ob der unverhofften Gesangsdarbietung ziemlich gerührt. Es war Sänger Hans, der den Kurzauftritt des Männerchors Kollbrunn spontan bewerkstelligt hatte.
Guggisberg BE liegt auf 1115 Meter über Meer. Die reformierte Kirche St. Mauritius, ein spätgothischer Saalbau mit Rechteckchor und Masswerkfenstern, ist im „Kulturführer Schweiz“ erwähnt. Frau Bucher, die frühere Gemeindeschreiberin, die gar viele Anekdoten aus der Geschichte von Guggisberg aus dem Stegreif wusste, war der Einladung von Ulrich gefolgt. Die belesene Dame gab den Sängern in der Kirche bekannt, was wohl keiner zuvor sicher wusste: In Guggisberg BE wurden Zeichen aus der „Steinzeit“ gefunden, was auf Bewohner vor rund 7‘000 Jahren vor Christi hinweist. Spuren von einem römischen Kastell sollen ebenso nachweisbar sein, bis ab zirka 450 n. Chr. die Kelten, eine indogermanische Völkergruppe, eine Vermischung aus verschiedenen Völkern, bis nach Guggisberg vorgedrungen sei.
Später gewann das „Haus Savoyen“, zur Römerzeit noch ein Teil der Provinz Gallia Cisalpina gewesen, spätrömisch Saubaudia genannt, immer mehr an Einfluss, erhielt im Jahr 1416 die „Herzogswürde“, und verkaufte 1446 Guggisberg an die Städte Bern und Freiburg (Fryburg; frz. Fribourg). Als Untertanen hätten die Leute von Guggisberg gewusst, dass sie „Bürger eines Königreichs“ wären. Aber alle fünf Jahre änderte die sogenannte „Steuerhoheit“ zwischen Bern und Fribourg ab. Bis 1798 erlebten die „Guggisberger“ eine harte Zeit. Erst der napoleonische Einfluss (auf den französischen Kaiser Napoleon I. bezogen) brachte den Guggisbergern jene Annäherung an den „Bürgerstand“, so wie dieser nach heutiger Verfassung zwar gesichert ist, und hoffentlich auch in Zukunft von Bestand sein wird. Die von Max Brunner gemalten Kirchenfenster erzählen die traurige Geschichte von eben diesem „Vreneli vom Guggisberg“ und „Hans Joggeli“, und wie deren Liebensglück damals von Mitmenschen aus Habgier und Eifersucht vereitelt worden war.
Der „Blue moon“ wird zwar gerne gesungen; in der Tat löste ein indonesischer Vulkan mit seinen hoch in die Höhe geschleuderten Aschemassen einen Mond aus, der von der Erde aus blau aussah. Das soll 1883 passiert sein, wie Frau Bucher erwähnte, und im darauffolgenden Sommer hätten die Bauern in Guggisberg kein Heu, also kein Dürrfutter einfahren können, weil die Sonne ungenügend durch den Aschemantel durchkam.
Für Frau Bucher trug der Männerchor Kollbrunn das alte Guggisberglied in der Mollfassung vor, in der St. Mauritius Kirche. Zum Schluss hatte Frau Bucher noch ein persönliches Anliegen: Stellen Sie sich vor, Sie müssten von Guggisberg BE aus, z. H. des zuständigen Amtes, einen Todesfall bekannt machen. Sie würden sich über den heutzutage „herrschenden Zentralismus im Kanton Bern“ sehr wundern.
Nun gut, die „Geschichte von Vreneli und Hans Joggeli“ erlebte die Erde vor rund 450 Jahren. Dennoch fragt es sich, wieso die durch die Gemeinde Guggisberg BE vor weniger langer Zeit organisierte „Heiratsvermittlung“ einen buchstäblichen Erfolg feiern konnte? Damals, als der „Männerüberschuss“ im Verhältnis von rund 3 zu 1 zu den Frauen stand?
Im Restaurant Sternen im Ort Guggisberg wurde das fleischlose Nachtessen sehr wohl wohlschmeckend aufgetischt. Ulrich hat mit keinem Franken über den Finanzrahmen geschlagen.
Und wie das Schwyzerörgeliquartett „Oergeli-schnupfer“ bei jedem Halt aufgespielt hatte, verdiente schon das Prädikat Extraklasse. Der Bass spielende Paul ist zwar im Tösstal ziemlich bekannt, die Oergeli spielende Patricia trägt den Witz auf dem rechten Fleck. Mit Nando und Res‘ haut der Sound sogar in den Gassen.
Zum Glück steuerte Reini nicht zu später Stunde den Nüssli-Bus sicher über den kurvigen Weg nach Schwarzenburg BE hinunter. Uebernachten mussten ja die Chorsänger irgendwo. Im Hotel Sonne oder im Bären, so stellte sich die Frage. Die Ausnahme bestätigt die Regel: Nur ein Sänger bezog sein „falsches Bett“ an diesem Abend vorzeitig. Was in der Bistro-Bar des Hotels bis frühmorgens ausgetauscht worden war, darf nach Tradition ein Geheimnis bleiben.
Wie es am nächsten Morgen aussah? Offenbar hatte schier jeder Sänger gut geschlafen, und von der Dame und den drei Herren der „Oergelischnupfer“ liesse sich nichts anderes behaupten, auch im Nachhinein nicht.
Das Frühstücksbüfett im Hotel Sonne kam allen Sängern und Oergelispielern formidabel vor. Unsere Dirigentin Eva verwöhnte ihren Gaumen mit einem Birchermüesli.
Am 7. Oktober war es so: Regenwolken hingen auch über Schwarzenburg BE. Nichtsdestotrotz, Reiseleiter Ulrich hatte auch an diesem Sonntag noch etwas vor. Gewiss, bis alle Sänger in den Nüssli-Bus eingestiegen waren, nahm dies doch eine geraume Zeit in Anspruch.
Von Schwarzenburg aus ging die Fahrt weiter ins Entlebuch, ins voralpine Tal östlich des Napfs im schweizerischen Kanton Luzern.
Naturgemäss geht es dort auf und ab, und Reini steuerte das lange Fahrzeug über enge Kurven, an steilen Abhängen vorbei, schnurstracks zur Köhlerei der Familie Renggli, die durch ihren Gesang sowohl schweizweit, als auch über Sendungen des Schweizerischen Fernsehens ziemlich bekannt ist.
Was ist ein „Meiler“? Jedoch ein mit einer Erdschicht überdeckter Holzstoss zur Holzkohlenherstellung. Wollte jemand mit Holzkohleherstellung reich werden? Nein, das geht gar nicht, sagt uns der Köhler Renggli direkt, obwohl es im Napfgebiet noch acht weitere aktive Köhler gibt.
Der FDP-Mann Otto Ineichen selig hatte sich seinerzeit für den Vertrieb von Holzkohle aus dem Napfgebiet eingesetzt. Diese Holzkohle von ebenda ist bei Ottos‘ Warenposten heute noch beziehbar. Die Söhne von Otto sollen weiterhin hinter der guten „Idee“ stehen.
Wobei das Handwerk der Köhlerei so einfach nicht ist. Wer die beschränkte Luftzufuhr ausser Acht lässt, sieht alsbald Asche und gar keine Kohle. Das Einfühlungsvermögen des jeweiligen Köhlers für das Element Feuer spielt dabei eine wesentliche Rolle. Mit Subventionen – also mit staatlichen Zuschüssen – kann ein Köhler im ziemlich abgelegenen Napfgebiet nicht rechnen. Würde ein „Nebenverdienst“ staatlich unterstützt, dann müsste kein Bauer aus dem nicht hügeligen Mittelland, demjenigen aus dem Napfgebiet, etwas „weggefressen“ haben müssen. Wenn es noch der „Köhlerliesel“ bedurft hätte, dann war es die Monika, Sängerin der Jodlerfamilie Renggli, die in ihrem privaten Auto, durch den strömenden Regen, Sänger des Männerchors vom Meiler zum Nüssli-Car beförderte. Sänger Jakob ging derweil lieber zu Fuss den Hang hinauf, wollte seine Wanderschuhe nicht umsonst mitgenommen haben.
Holzwegen (Romoos) liegt auf 1080 Metern ü.M. – wiederum beklagt sich kein Sänger, kein Oergelispieler über das mundende Essen, das trotz Regen aus dem Haus von nebenan serviert werden muss.
Auf die Wanderung auf den Napf, auf 1408 Meter ü.M., verzichten selbst die wanderlustigsten Damen und Herren von sich aus. Trotz Wanderschuhen und Rucksäcken fiel also die durch den Reiseleiter Ulrich eingeplante Wanderung buchstäblich ins Wasser. Niemand beklagte sich deswegen, natürlich nicht. Ungeachtet dessen, hielt sich Ulrich weiterhin an den Reiseplan.
Vor dem Hotel Tell in Luzern hielt Reini den Car nochmals an. Ein Dessert für diesen, nur einen Kaffee für denjenigen, der ein paar Bilder von der Reise im Kopf behalten sollte. Sänger Werni B. sah die Wildschweine während der Heimfahrt von Illnau nach Kollbrunn, wie diese am Waldrand zufrieden suhlend gingen, nicht. Er war kurz eingenickt.
Wo angefangen, so ging die Reise am Sonntagabend auch zu Ende, im Restaurant Frohsinn. Nur ein Rucksack blieb im Car zurück. Und ein schwarzer Regenschirm fand einen neuen Besitzer.